David Geringas und Joel Blido loteten zum Auftakt der Interlaken Classics 2021 die Möglichkeiten ihrer Celli voll aus. Und Geringas gab praktische Tipps.
Das erste Konzert der Interlaken Classics 2021 begann mit Barock-Komponisten François Couperin. Die Celli von David Geringas und Joel Blido zeigten sich mit Würde tänzerisch und melodiös in der ihnen eigenen Tenortonlage. Diese verliess David Geringas dann in drei Stücken seines 2019 verstorbenen Komponisten-Freundes Anatolijus Šenderovas auf grossartige Weise. Die Musik lag dem meisterhaften Cellisten, der den Komponisten schon früh in der Heimatstadt Vilnius kennengelernt hatte, hörbar besonders am Herzen.
Das Cello bekam viele Stimmlagen: Es stieg gleich zu Beginn in sphärische Höhen und glitt dann in dunkle Tiefen, verstrickte sich in explosive Dissonanzen und fand sich nach kurzen Atempausen in expressiven Melodien wieder.
Zwei der gespielten Stücke waren Interludien zu Bachs Suiten für Violoncello, eines eine Hommage, die der Komponist ursprünglich für den ebenfalls in Vilnius geborenen Violinisten Jascha Heifetz geschrieben und dann für den Cellistenfreund neu arrangiert hatte, als dieser ein Stück brauchte.
Zurück zur Tenortonlage führte der Ukrainer Walentyn Sylwestrow die Celli, die wieder zu zweit spielten. Eines umrahmte abwechslungsweise mit taktgebendem Pizzicato die romantisch-mystisch wirkenden Melodien des anderen. Mit dem Duett für zwei Celli von Gioachino Rossini betraten sie die Bühne, singend und mit dramatischem Flair. Als Zugabe gabs, wie so oft bei Cellokonzerten, Camillle Saint-Saëns’ «Schwan», der im «neuen Federkleid» auftrat, wie David Geringas heiter ankündigte. Die zwei Celli machten ihn irgendwie lebhafter.
Die Veranstalter der Interlaken Classics haben nach dem coronabedingten Ausfall 2020 die Konzertreihe über die Monate Mai bis Juli verteilt. Die zwei Mai-Konzerte, das Meisterkonzert von David Geringas am Freitag, 21. Mai, und das Abschlusskonzert seiner Meisterschüler am Sonntag, 23. Mai, fanden jeweils am Vorabend und ein zweites Mal am Abend statt, in der Sale General-Guisan im Grand Hotel Victoria Jungfrau & Spa, mit Zuschauersesseln im weitem Abstand.
«Es war das erste Konzert, das wir nach langer Zeit zusammen gespielt haben», sagte David Geringas am Samstag nach den beiden Freitagskonzerten. Er traf sich mit seinen Meisterschülern im Haus der Musik, heiter, charmant und nach den zwei Konzerten ausgeruht, obschon er in der Nacht noch die russische Übersetzung des neusten Buches «Licht im Fenster» seiner Frau Tatjana korrekturgelesen hatte.
«Die Musik existiert nicht, sie entsteht im Moment», sagte er. Gleich sei sie nie, auch die beiden Konzerte seien nicht gleich gewesen, das zweite gelöster. Vielleicht auch, weil der Abend doch die beste Zeit für Konzerte sei, sagte er lächelnd. Seit 14 Jahren kommt der Cellist, der mit grossen Orchestern auf der ganzen Welt gespielt oder sie dirigiert hat, nach Interlaken.
Der Schüler von Mstislav Rostropovich und Lehrer von Sol Gabetta, die in Gstaad auftreten wird, hat ein unglaublich weites musikalisches Spektrum. Er lebt in Deutschland und strahlt, wenn er an sein Haus in Italien denkt. Und die Landschaft in und um Interlaken? Geringas macht eine Geste für Unbeschreibliches. «Meinen Schülern sage ich, sie sollen an die Cellosonate F-Dur von Johannes Brahms denken», sagte er. Brahms hat sie in Thun, mit Blick über den See und die Berner Hochalpen, komponiert.