Sie kennen sich seit frühester Kindheit: der Cellist David Geringas und der Komponist Anatolijus Senderovas. Die langjährige Künstlerfreundschaft der beiden in Vilnius geborenen Litauer ist trotz Zeiträumen, in denen sie sich kaum oder gar nicht sehen konnten, ebenso konstant wie produktiv. Senderovas hat eine Vielzahl von Stücken in unterschiedlichen Besetzungen für Geringas geschrieben, die dieser uraufgeführt hat. Eine Auswahl der wichtigsten Stücke darunter dokumentiert nun die CD “David’s Song”. Es sind stilistisch sehr unterschiedliche Werke, grundverschieden in ihrem Charakter und melodischem Material, auch wenn sie alle eine starke Sinnlichkeit verströmen. Die schönsten zart-lyrischen, elegischen Melodien finden sich im Song of Shulamith, ein Stück, das auf dem alttestamentarischen Gesang der Gesänge basiert und durchdrungen ist von hebräischen, arabischen und mittelalterlichen Anklängen. Wie die meisten Werke Senderovas war auch dieses ein work in progress; auf der CD ist die vielleicht exotischste Variante für Cello, Bajan, Schlagzeug und Tonband zu hören, wobei überrascht, wie wunderbar die beiden Melodieinstrumente klanglich miteinander harmonieren. Wer meint, dann und wann auch archaische Blockflötenklänge zu vernehmen, hört richtig; und es zeigt sich als eine besondere Raffinesse in der Instrumentation, dass sie nicht live, sondern vom Band zugespielt werden, sodass sie fast etwas verschwommen und unklar wirken wie aus fernen, fernen Zeiten mystisch, träumerisch und unwirklich. Senderovas Kompositionen für Cello dokumentieren auch ein Stück Zeitgeschichte. So datiert etwa die erste Sonate für Cello und Schlagzeug aus den 1970er Jahren, in denen es im Zuge von Geringas Auswanderung in den Westen zu einer unfreiwilligen Pause in der über 50 Jahre währenden Künstlerfreundschaft kommen sollte. Die beiden Musiker hatten die Sonate bereits auf einer Platte aufgenommen. Nachdem dem russischen Kulturministerium bekannt geworden war, dass Geringas und seine Frau die Ausreise beantragt hatten, wurde die Platte verboten. Eigentlich hätte die Aufnahme sogar offiziell vernichtet werden sollen, zum Glück aber rettete sie heimlich eine mutige Mitarbeiterin der Schallplattengesellschaft. Für die jüngste CD hat Geringas die Sonate neu eingespielt. Sie ist deutlich ruppiger, aggressiver und virtuoser als der “Song of Shulamith”, bestimmt von einem unaufhörlichen, atemlosen Rumoren, das sich in berstenden Amokläufen entlädt. Auch der nur knapp siebenminütige “Cantus” für Cello und Klavier ist trotz einiger sehr expressiver, sehnsuchtsvoller Motive ein eher sprödes, dissonantes Stück voller Attacken und Explosionen. Sein jüngstes Stück schrieb Senderovas für Cello und Streichquartett anlässlich Geringas 60. Geburtstag: Davids Song. Live mitgeschnitten bei der Uraufführung in Kronberg im Taunus mit dem Vilnius Quartett, krönt sie die CD als eine Weltpremiere. Es beginnt mit einem Cellosolo, das wiederum sehr kraftvolle, aggressive Elemente mit sehr expressiven, zärtlichen, lyrischen in hoher Daumenlage verbindet. Geringas bezeugt dabei einmal mehr virtuosen Furor, ein reiches Ausdrucksspektrum und klangliche Schönheit. Fazit: Es lohnt sich, diese fünf Raritäten zu entdecken.