Die Pianistin Tatjana Geringas feierte 2020 ihren 75. Geburtstag. Mit David Geringas, den sie während des Studiums am Moskauer Konservatorium kennenlernte, spielte sie bereits früh im Duo – vor dessen Lehrer Mstislaw Rostropowitsch, bald vor großem Publikum in der ganzen Sowjetunion, nach der gemeinsamen Emigration in den großen Sälen der ganzen Welt. Künstler, die sie hörten, Rostropowitsch, Pierre Fournier, Isaak Stern oder Leonard Rose, waren von ihr hingerissen: Kraft, Genauigkeit, Empfindsamkeit zeichnen ihr Spiel aus. Sie hat den Mut, neue Sprachen der Musik zu erkunden, zugleich aber auch unfehlbares Gespür für die Stile der Vergangenheit. Komponisten wie Krzysztof Meyer, Viktor Suslin, Erkki-Sven Tüür oder Anatolijus Šenderovas haben Tatjana Geringas Werke gewidmet. Viele Aufnahmen, welche im Duo mit ihrem Mann David Geringas entstanden, sind prämiert.
Die CD The Art of the Duo ist eine Zusammenstellung authentischer Zeugnisse der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, die in der gemeinsamen Arbeit von Tatjana und David Geringas von Beginn an einen Schwerpunkt bildet. Sie präsentiert eine Auswahl herausragender Duo-Aufnahmen, die vor allem jenen Komponisten Aufmerksamkeit schenkt, die mit Tatjana und David Geringas selbst in besonderer, persönlicher Verbindung standen. So schrieb Schostakowitsch am 12. Mai 1972 an seinen persönlichen Sekretär Isaak Glikman: „… gestern führte Maxim meine 15. Symphonie (beim Festival ‘Moskauer Sterne’) auf. Der Cellist David Geringas hat statt des erkrankten Rostropowitsch mein 1. Cellokonzert sehr gut gespielt“. Zuvor hatte David Geringas mit besagtem Cellokonzert den Allunions-Wettbewerb (1969) sowie den Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb (1970) in Moskau gewonnen, bei letzterem saß Schostakowitsch selbst im Publikum und scharrte vor Begeisterung mit den Füßen. Geringas‘ damaliger Lehrer Rostropowitsch lobte den Cellisten als „besten Schostakowitsch-Spieler“; er war es gewesen, der David Geringas den Komponisten ans Herz gelegt hatte. Schostakowitsch selbst widmete seinem ehemaligen Schüler Rostropowitsch seine beiden Cellokonzerte.Werke für Chor a cappella von Robert und Clara Schumann und Wilhelm Killmayer
Auf dem vorliegenden Album hören wir Schostakowitschs Sonate für Violoncello und Klavier, Op. 40, 1934 entstanden, die sich bereits an der Doktrin des‘ sozialistischen Realismus orientiert und sich in klassizistische Gestik und Formverhältnisse einpasst, in Richtung Allgemeinverständlichkeit. So ist die Sonate gegenüber den früheren Werken des Komponisten überwiegend melodisch und harmonisch sanft.
Mstislaw Rostropowitsch stand in der Sowjetunion häufig in Konflikt mit den sozialistischen Machthabern. Nach einem Publikationsverbot für den Schriftsteller Aleksandr Solschenizyn waren dessen Existenzmöglichkeiten derart beschnitten, dass Rostropowitsch in einem Beschwerdebrief an gleich vier Zeitungsredaktionen gegen das Publikationsverbot protestierte und Solschenizyn anschließend auf seiner Datscha als Gärtner einstellte. Diese „Widerstandshandlung“ brachte dem berühmten Cellisten ein Aufführungs- und Reiseverbot ein. Sein Name verschwand aus der Öffentlichkeit, und David Geringas durfte seinen Lehrer in Interviews nicht mehr erwähnen. Aus Protest spielte er dessen auf The Art of the Duo vertretene Humoreske op. 5 häufig auf seinen Russland-Tourneen.
Auch Alfred Schnittkes Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 hat eine besondere Bedeutung für Tatjana und David Geringas: „Schnittkes Musik ist ein Teil unseres Lebens“. So spielte das Künstlerpaar kaum ein wichtiges Rezital, ohne dass ein Stück von Alfred Schnittke auf dem Programm stand; die Beziehung zum Komponisten war außergewöhnlich und vertrauensvoll. Einzig Tatjana und David Geringas autorisierte er, den Epilog zu Peer Gynt im Konzert zu spielen. Die auf dem vorliegenden Album vertretene 1. Cellosonate führte David Geringas in mehr als 20 Ländern als Erstaufführung auf.
Eine echte Entdeckung ist die hier präsentierte Sonate für Cello und Klavier op. 17 von Erwin Schulhoff. Schulhoff, bekennender Kommunist und deutsch-jüdischer Abstammung, war Komponist vor allem der Neuen Musik und des Jazz. 1941 wurde er in das Gefangenenlager Wülzburg in Bayern interniert, seine Musik als „entartet“ gebrandmarkt. 1942 kam er im Lager ums Leben, sein Werk geriet nach der Zeit des Nationalsozialismus in Vergessenheit. Schulhoffs Manuskript der Sonate für Cello und Klavier, op. 17 lag lange unbeachtet im Archiv des Museums der tschechischen Musik in Prag – erst 1993 nahmen David und Tatjana Geringas das bereits 1914 komponierte Werk als Erste auf, nachdem sie es im selben Jahr als Konzertstück wiederentdeckt hatten.