Mit großer Ausdruckskraft spielen sich David Geringas (Violoncello) und Ian Fountain (Piano) durch die böhmischen Märchenwälder.
Der renommierte Cellist David Geringas hat wieder mal eine CD eingespielt, die für Aufsehen sorgt. Der Musiker lebt seit vielen Jahren in Berlin und hat hier große Nachwuchstalente unterrichtet. So bekannte Solisten wie Johannes Moser und Sol Gabetta haben bei ihm gelernt. Seine neueste Aufnahme, die gemeinsam mit dem englischen Pianisten Ian Fountain entstand, bringt böhmisch-mährische Musik – Dvořák, Mahler, Janáček und Suk. Sie alle stammen aus ein- und derselben Region. Und könnten nicht unterschiedlicher sein. Dass Böhmen das Konservatorium Europas ist, wussten die Europäer schon zur Barockzeit.
David Geringas begibt sich jetzt zusammen mit dem englischen Pianisten Ian Fountain auf die Spuren der tschechischen Musik an der Schwelle zur Moderne. Seine Auswahl ist märchen- und sagenhaft. Deshalb auch der Titel der CD – Pohádka – Märchen, nach einem Stück von Leoš Janáček. Alle vier Komponisten liebten Märchen und vertonten sie, als Lieder ohne Worte oder – wie im Falle Mahlers, als Lieder eines fahrenden Gesellen oder Kindertotenlieder. Dieser textgebundene Gesang lässt sich mühelos auf das Cello übertragen.
Die Zusammenstellung der Stücke ist originell und zeugt von poetischem Feingefühl. Geringas und Fountain eröffnen mit einem frühen Stück Josef Suks, Balada a serenada. In der Serenada lässt sich – so sagt es Geringas – ein braver Soldat Schwejk heraushören. Leoš Janáček dagegen beschwört in seinem Märchen “Pohádka” einen Bösewicht herauf. Dieser Finsterling bedroht einen König und hält dessen Schwiegertochter gefangen. Pohádka ist eine aufwühlende Geschichte, voller Farben und Stimmungen. David Geringas spielt hier mit existentieller Kraft und macht das Material fühlbar: metallisch krachen die Saiten, die Bogenhaare reißen vor Anspannung. Das Holz des Cello-Korpus’ ächzt und stöhnt. Janáček hat beinahe experimentell komponiert – und Geringas gibt der Dramatik freie Bahn. Dem dreisätzigen Werk fügt der Cellist noch ein Presto hinzu, das eigentlich nicht dazugehört, aber gut die Charaktere des Märchenstücks zusammenfasst. Eine Idee, die spielerische Fantasie verrät.
Satte Melodienseligkeit spricht aus den Stücken, die Antonín Dvořák für Cello und Klavier komponiert hat. Sie wirken wie Vorübungen für das große amerikanische Cellokonzert, das bis heute berühmteste überhaupt. David Geringas und Ian Fountain haben es sich auch nicht nehmen lassen, den Salonkomponisten Dvořák zu zeigen. Fürs Cello gibt es schließlich auch eine Bearbeitung seiner berühmten vierten Nummer aus den Zigeunermelodien, die die beiden Musiker mit leichtem Augenzwinkern spielen.
Den größten Raum auf der CD nehmen die Lieder Gustav Mahlers ein, bearbeitet für Cello und Klavier – zwei davon von David Geringas selbst. Die Lieder seien Keimzellen seiner Sinfonien gewesen, meint Geringas. Überraschend vielfältig klingen sie auf dem Cello – das mal wie textgetreu singt, dann wieder ein ganzes Orchester nachahmt. Erst in dieser Form zeigen die Lieder, wie fest Mahler in der Tradition verankert ist, in der von Franz Schubert genauso wie in der seiner böhmisch-mährischen Heimat.
Mit großer Ausdruckskraft spielen sich David Geringas und Ian Fountain durch die böhmischen Märchenwälder. Und setzen damit einen lebensfreudige Akzent gegen die dunklen Gestalten der Sagen und Trauerlieder. Die toten Kinder und die verlorenen Seelen holen sie mit dieser einzigartigen CD zurück ins Leben und schaffen dabei einen Kosmos mitreißender Klangwelten.
Quelle: www.kulturradio.de