David Geringas nahm knapp 100 CDs auf. Seine Violoncelloklasse in Lübeck gilt schon jetzt als legendär. Ein Porträt zum 75. Geburtstag.
„Das Wichtigste, was ich von Mstislaw Rostropowitsch gelernt hat, ist, dass man das Stück liebt, das man gerade spielt“, sagt David Geringas, der somit bislang Tausende Stücke temporär ganz besonders geliebt haben muss in seiner schon weit über 50 Jahre andauernden Karriere. Von Rostropowitsch, seinem prägenden Lehrer am Moskauer Konservatorium, spricht er bis heute voller Hochachtung.
Als David Geringas am 29. Juli 1946 in Vilnius zu Welt kam, klafften die Wunden des Krieges und der deutschen Besetzung noch weit. „Wir waren die sehr seltenen Überlebenden. Denn die jüdischen Familien wurden in Litauen fast total ausgerottet. Als ich Kind war, wurde mir das nicht so klar. Ich habe davon mehr erfahren, als mein Vater nicht mehr da war“, erinnert er sich.
Am Moskauer Konservatorium lehrten in den 1960er-Jahren Künstler der Weltklasse. Emil Gilels, David Oistrach, Dmitri Schostakowitsch und viele andere mehr. In der Klasse des legendären Heinrich Neuhaus, sozusagen im Nachbarzimmer, stellten sich für David Geringas nicht nur berufliche Weichen. Dort studierte auch seine spätere Frau Tatjana.
David Geringas lacht: „Sie hat mir den Antrag gemacht. Sie kam plötzlich im Studentenheim in mein Zimmer und fragte: Willst Du mich heiraten? Ich war total überrascht, aber ich dachte: Das schönste Mädchen am Moskauer Konservatorium macht mir so einen Antrag, da kann ich doch nicht nein sagen. Es ist egal, wie mein Leben sich jetzt verändert.“
1975, nach dem Studium, gingen beide in den Westen und sorgten für Furore. David Geringas wurde zunächst Solo-Cellist beim damaligen NDR Sinfonieorchester, dem heutigen NDR Elbphilharmonieorchester, übernahm Professuren an den Hochschulen von Hamburg und Lübeck, später in Berlin, und konzertierte weltweit. Für seine knapp 100 CD-Aufnahmen, viele als Solist aber auch im Duo mit seiner Frau Tatjana, erhielt Geringas zahlreiche Preise.
Als Solist und Dirigent ist David Geringas bis heute in aller Welt unterwegs. Seine legendäre Violoncelloklasse in Lübeck gestaltete er ganz nach dem Vorbild seines Lehrers Rostropowitsch. Lehren und Leben schienen eins. „Für mich war das immer so wie eine Familie. Ich wohnte in Hamburg und sofort war unser Haus voll mit Schülern. In der Küche wurden Spaghetti gekocht, unten im Keller wurde Tischtennis gespielt und oben in meinem Studio wurde gefoltert, bekamen sie Stunden nacheinander. Das Wichtigste für mich war, dass wir eine Gemeinschaft sind ohne Neid und ohne Intrigen und das hat viele mitgezogen“, erzählt er.
Unter seinen Schülern waren viele heutige Spitzencellistinnen und -Cellisten: Wolfgang Emanuel Schmidt, Jens Peter Maintz, Gustav Rivinius, Johannes Moser, Monika Leskovar, Sol Gabetta und viele, viele andere. Immer wieder setzt sich David Geringas für die Musik seiner Heimat Litauen ein. Zahlreiche Werke hat er uraufgeführt. Als Cellist wie als Dirigent.
Doch David Geringas ist ein fast universell gebildeter Mensch mit schier endlos vielen Interessen und Fähigkeiten. Diese Multibegabung faszinierte seine spätere Frau Tatjana schon an der Moskauer Musikhochschule: „Als wir uns kennengelernt haben hat mich zum Beispiel sein fantastisches Gedächtnis fasziniert“, erinnert sie sich. „Der Geschichte, aber er war auch ein phantastischer Mathematiker und Physiker. Es war Vieles bei ihm. Es hat mich fasziniert, dass er mit zwei Händen gleichzeitig schreiben konnte. Er musste damals Briefe auf jiddisch nach Hause schreiben. Die Sprache hat Buchstaben in Iwrit. So konnte er von rechts nach links wie von links nach rechts gleichzeitig beidhändig schreiben. Auf russisch oder deutsch zum Beispiel. Das hat mich sehr fasziniert.“
Seinen Geburtstag feiert Geringas auf der Bühne, wie üblich. Und auch für seinen 80. Geburtstag hat er schon Pläne: „Vielleicht kann ich mit 80 Jahren noch ganz passabel spielen, aber lassen Sie uns doch erst einmal sehen, wie lange das noch geht.“