Weltklassecellist David Geringas spielte Mahler und Brahms
Es war ein Genuss, vom Anfang bis zum Konzertende. Der aus Litauen stammende Cellist David Geringas spielte sich mit zwei Brahmssonaten und den, von Victor Derevianko für Violoncello bearbeiteten, ergreifenden Kindertotenlieder von Gustav Mahler in die Herzen der Zuhörer.
«Es ist ein schreiendes Unrecht», schrieb Clara Schumann, Gattin des Komponisten Robert Schumann, 1886 an Johannes Brahms «sende mir dringendst deine neuesten Werke». Gemeint war unter anderen die Cellosonate op. 99, die Freund Brahms zum Entsetzen seiner Mentorin zuerst dem «Bund»-Redaktor Victor Widmann an einem Berner Hauskonzert vorspielen liess. Längst hat dieses wunderschöne Werk, auch ohne den Segen von Clara Schumann, Weltruhm erlangt und ist in allen namhaften Konzertsälen der Welt zu hören. So auch im Theatersaal des Casino Kursaals Interlaken im Rahmen der Interlaken Classics 2011. Der Weltklassecellist und sein temperamentvoller, stets präsenter Pianist Jan Fountain gaben der Sonate Nr. 2 in F-Dur den typisch spätromantischen Touch und musikalische Wärme. Auch die Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1, e-Moll op. 38 wurde dank David Geringas Virtuosität, Musikalität und Spielfreude zu einem unvergesslichen Musikerlebnis. Herb, fast trotzig der erste Satz, gestaltete der Starcellist das tänzerische, fast folkloristische Allegretto mit Liebreiz und grosser Intuition.
Mahlers Gattin protestierte
Im Mittelpunkt des ungewöhnlichen Konzerts standen ohne Zweifel die Kindertotenlieder von Gustav Mahler, für Violoncello bearbeitet vom russisch-israelischen Pianisten Victor Derevianko. Ab 1900 war Mahlers Liedschaffen von Texten Friedrich Rückerts bestimmt. Dazu gehören auch die ergreifenden Kindertotenlieder, die meistens von einem Bariton gesungen werden. «Ich kann es nicht verstehen, dass man den Tod von Kindern besingen kann, wenn man sie eine halbe Stunde vorher heiter und gesund geherzt und geküsst hat», reagierte Mahlers Gattin Alma empört auf die kompositorische Beschäftigung ihres Gatten mit den Rückert Gedichten. Das Schicksal schlug im Hause Mahler drei Jahre später zu, als Tochter Maria Anna an Scharlach starb.
Auch instrumental ein Erlebnis
In Mahlers Kindertotenlieder birgt die Trauer schon den Trost in sich. Und umgekehrt ist jeder versöhnliche Ton von tiefer Melancholie durchdrungen. Mahler war überzeugt, dass nur die Stimme eines Sängers, einer Sängerin diese musikalischen Stimmungsschwankungen voll zum Tragen bringen. Weit gefehlt, die instrumentale Bearbeitung von Victor Derevienko für Violoncello ist so einmalig, dass man die Worte gar nicht vermisst. Trauer und Verzweiflung über den Tod des Kindes wirkten auch ohne Text authentisch auf die Zuhörer und man spürte über das warm klingende Instrument, gespielt von einem Ausnahmekönner, im Wiegenlied die tröstliche Vorstellung eines Wiedersehens mit dem verstorbenen Kind im Jenseits. Das Konzertpublikum in Interlaken kam bei dieser Bearbeitung in den Genuss einer Schweizer Erstaufführung.