David Geringas, Violoncello – Ian Fountain, Klavier
ECHO Klassik 2014: Kammermusikeinspielung des Jahres (Musik 19.Jh.) gemischtes Ensemble
Es war einmal ein König, ein Metzger, ein Geiger und ein Spielmann…
So beginnen die Abschnitte der Booklet-Texte von Olaf Wilhelmer. Neugierig geworden? Ja, wie kommen die zusammen? Endet es auch gut? Das ist das Spannende an Märchen. Mal beginnt ein Erzähler ein Märchen geheimnisvoll, mal erzählt er auch einfach, aber immer versucht er, den Zuhörer unmittelbar in seinen Bann zu ziehen. Gemeinsam erzählen David Geringas und Ian Fountain auf der vorliegenden CD klingende Märchen: Pohádkas, wie es auf Tschechisch heißt – Geschichten von anderen Orten und Zeiten. Dvořák, Janáček und Suk stammen aus Böhmen und Mähren, und wenn auch Mahler als österreichischer Komponist gilt, wurde er im tschechischen Kaliště/Kalischt geboren und wuchs in Jihlava/Iglau auf.
Pohádka für Cello und Klavier ist ein Werk, das Leoš Janáček nach einem russischen Märchen geschrieben hat und das bereits nach wenigen Tönen die Haltung des „Es war einmal“ heraufbeschwört. Der Komponist selbst erzählte bei einem Konzert 1910 seinem Publikum dieses Märchen vom König Berenděj, dem der Verlust des eigenen Kindes droht, es aber schließlich doch zu einem guten Ende führt. Es ist unklar, ob das anschließende Presto zu dieser Komposition gehört, aber zweifellos rundet es das musikalische Märchen ab.
Ehe er Pohádka komponierte, hatte Janáček seine beiden Kinder durch Krankheiten verloren, und so lässt sich vermuten, dass diese Komposition auch der Trauerarbeit diente. Auch Antonín Dvořák hatte in frühen Jahren den Tod dreier Kinder verkraften müssen. Wie Janáček liebte Dvořák Märchen und vertonte in seinen späten Sinfonischen Dichtungen vier Märchenerzählungen; in drei von ihnen geht es dabei um Kindestötungen. Dvořáks Musik wirkt vielleicht durch seinen Melodienreichtum unbeschwert. Doch klingen nicht die idyllischen Momente in Dvořáks Waldesruhe auch zutiefst melancholisch? Das Rondo in g-Moll steht im starken Gegensatz dazu: Dvořák schrieb es 1891 vor der Ausreise in die USA, und man kann die innerliche Unruhe und Energie spüren. Tonumfang und Klangcharakter des Cellos passen wunderbar zu Melodia, dem beliebtesten Lied der Zigeunermelodien op. 55, das von Lev Limsky für Cello und Klavier bearbeitet wurde.
Josef Suk, ein zu Lebzeiten bekannter Geiger, verehrte Dvořák sehr und heiratete 1898 Dvořáks Tochter Otýlie. Es war eine Liebeshochzeit und umso größer die persönliche Tragödie, als Antonín Dvořák 1904 und Otýlie Dvořáková-Suková 1905 starben. Von den emotionalen Extremen der späten Musik Suks ist im frühen Opus 3, der Serenade in A-Dur (1896) noch wenig zu spüren. Erahnen lässt sich diese Gemütslage allenfalls im Vorgängerwerk, der schwermütigen Ballade in d-Moll (1890).
Gustav Mahler beschäftigte sich schon früh mit Märchen (1878 Das Klagende Lied) und Vertonungen von Volksdichtungen, und letztendlich hat sich Gustav Mahler nahezu ausschließlich den Gattungen Lied und Sinfonie zugewandt. Als Kind hatte Mahler den Tod etlicher seiner Geschwister verkraften müssen und vielleicht erklärt sich dadurch seine Beschäftigung um 1910 mit den traurig-wundersamen Rückert Gedichten. Aber weder Mahlers Kindertotenlieder noch die apokalyptische 6. Sinfonie haben mit dem Tod von Mahlers eigener Tochter Maria etwas zu tun, denn Mahler vollendete den Zyklus bereits drei Jahre vorher, im Sommer 1904. Und auch das Lied Ich bin der Welt abhanden gekommen von 1901/02 behandelt nicht diese Thematik, vielmehr ist das Lied eine musikalische Liebeserklärung Mahlers an seine Frau Alma. Die Einrichtung für Violoncello und Klavier dieses Liedes und des Liedes Ging heut’ morgen übers Feld hat David Geringas vorgenommen. Viktor Dereviankos dicht am Originaltext bleibendes Arrangement der Kindertotenlieder wirkt in der vorliegenden Einspielung durch David Geringas und Ian Fountain wie eine Apotheose: Wie das Licht einer geistigen Welt, das selbst die abgrundtief traurigen Kindertotenlieder aufzuhellen vermag.
Als Duo spielen David Geringas und Ian Fountain, ein hervorragender Pianist und einfühlsamer Kammermusikpartner, seit vielen Jahren zusammen und haben dieses Programm gemeinsam entwickelt. Wie es bei guten Märchenerzählern sein soll: Man hört Geringas auf seinem Cello singen und Fountain auf dem Klavier erzählen und man ist berührt und fast traurig, wenn die Musik zu einem Ende kommt.